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„Räume schaffen für jüdisches Leben“ - Interview mit Maria Noth

Das Interview führte die Journalistin Annette Großbongardt

Der Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Frauenkirche in Dresden gilt als großer Erfolg – kann man etwas daraus für den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge lernen, oder sind die beiden Projekte gar nicht miteinander vergleichbar?

Noth: Es sind beides Gotteshäuser, und in beiden Fällen geht es um das Thema Religion in einer recht säkularen Gesellschaft. Diese Frage war in Dresden deshalb sehr zentral: Macht es noch Sinn, ein Gotteshaus wieder aufzubauen? Wir haben so viele Kirchen und so wenig Mitglieder, das war etwa die Sorge der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche hier in Sachsen.

Auch in der Jüdischen Gemeinde Hamburg gibt es heute viel weniger Mitglieder als Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Synagoge entstand – wegen des Holocausts.

Noth: Das ist auch einer der essenziellen Unterschiede: Wir in Dresden sind an unserem eigenen Untergang selbst beteiligt gewesen. Die Kirche stand in einer Stadt, die durch und durch braun war. Die Frauenkirche wurde teilweise von den Nazis sogar als „Dom der deutschen Christen“ bezeichnet. Das heißt, es gibt keine Unschuld, die hier manche hochhalten wollen. Und deshalb ist der Wiederaufbau hier auch mit aller Demut zu verstehen, er ist ein Geschenk und eine Verpflichtung. Bei einer Synagoge ist das natürlich etwas ganz anderes.

Inwiefern?

Noth: Hier ist einer jüdischen Gemeinschaft etwas gewaltsam weggenommen worden. Deshalb ist das Projekt vielleicht noch viel wichtiger. Hier geht es um die Sichtbarkeit der Religion, darum, wieder Räume zu schaffen für jüdisches Leben. Das ist das Beste, was man gegen Geschichtsvergessenheit tun kann. Vor allem, wenn eine jüdische Gemeinde von sich aussagt: Wir möchten das. Das ist doch großartig! Sie zeigt: Wir waren Teil von Deutschland und sind es wieder, es ist heute anders, aber wir wollen wieder an eine Tradition anschließen.

Die Synagoge wurde in der Pogromnacht 1938 teilweise zerstört, dann ordnete die Stadt Hamburg den Zwangsabriss an. Heute unterstützen die Hamburger Bürgerschaft, der Hamburger Senat und der Bund den Wiederaufbau. Gegner des Projekts sagen, der Platz, auf dem die Synagoge einst stand, solle lieber leer bleiben – als Mahnmal. Wenn man das Gebäude wieder errichte, würde man so tun, als sei nichts geschehen. Gab es diesen Einwand auch bei der Frauenkirche?

Noth: Ja, hier stand allerdings auch noch die Ruine – 40 Jahre lang. In Hamburg habe ich mir den Platz angeschaut mit dem Bodenmosaik, das an die Synagoge erinnern soll. Ehrlich gesagt, wenn man es nicht weiß, nimmt man es kaum wahr, für die meisten Menschen, die zufällig vorbeikommen, ist es einfach nur ein leerer Platz. Und für jüdisches Leben geht es ja darum, die Zukunft zu gestalten, ein lebendiges Haus, wieder eine echte Heimstatt für Jüdinnen und Juden. Das gelingt aber nicht mit einem Mahnmal.

Sollte das Gedenken denn ganz verschwinden?

Noth: Nein, auf keinen Fall, aber eine Erinnerung kann man auch in einer wiederaufgebauten Synagoge gestalten, sogar viel besser, weil dort Veranstaltungen stattfinden, Schulklassen zu Besuch kommen können. Das ist aktives Erinnern. Dabei wäre es gut, auch nach vorne zu gucken, also was wird in 30 Jahren sein, wenn unsere Kinder erwachsen sind. Die Generation meiner Tochter etwa hat die Ruine der Frauenkirche gar nicht gekannt, für sie ist die wiederaufgebaute Kirche die Normalität. Dieses Bild zu schaffen, wie sah das damals aus, was ist dazwischen passiert, und wie kann ich das auf aktuelle Themen übertragen, das muss man immer wieder bewusst machen und darstellen.  

Um den geschichtlichen Bruch zu markieren, fordern manche Kritiker einen ganz neuen Entwurf. Wie sehen Sie das?

Noth: Ganz einfach: Der Wille der Gemeinde ist zu respektieren, und die möchte historisch rekonstruieren.

Wie haben Sie bei der Frauenkirche die Geschichte integriert?

Noth: Wir tun es täglich neu. Heute kann man die dunklen Steine in der Außenfassade, die noch von der alten Kirche stammen, von den hellen Steinen des Wiederaufbaus unterscheiden. Irgendwann werden alle Steine gleich dunkel aussehen. Auch die Spuren der Zerstörung am Altar, der noch zu großen Teilen aus Originalmaterial besteht, sind aus der Entfernung auf den ersten Blick kaum zu erkennen. Menschen, die zu uns kommen, ohne die Geschichte zu kennen, denken erstmal: Wow! Tolle Kirche! Wir versuchen deshalb etwa über Ausstellungen, die Vergangenheit einzufangen, aber auch aktuelle Konflikte zu thematisieren und ganz bewusst Reibungspunkte im barocken Kirchraum zu setzen. Letztes Jahr haben wir Fotos von zerstörten Gotteshäusern in der Ukraine gezeigt und auch davon, wie Menschen dort trotz des Krieges Kultur leben. Auf die Synagoge bezogen könnte man etwa den Antisemitismus thematisieren. Am besten ist es, Projektideen und Möglichkeiten, den Raum für aktuelle Themen zu öffnen, schon im Nutzungskonzept mitzubedenken.

Wie haben Sie diejenigen überzeugt, die lieber die Ruine erhalten wollten?

Noth: Als die Debatte losging, war ich noch ein Teenager, aber ich kenne sie natürlich. Ich komme selbst aus einer Pfarrfamilie hier in der Nähe, mein Vater war gegen den Wiederaufbau. Auch er meinte, wozu brauchen wir noch so viele Kirchen, die müssen ja auch mit Leben gefüllt werden. Die damaligen Kritiker sind heute größtenteils versöhnt, vor allem dadurch, dass die Frauenkirche als lebendige Kirche in einer säkularen Umgebung Menschen anspricht, die wohl sonst nie eine Kirche betreten würden. Und sicherlich auch dadurch, dass die Frauenkirche mehr als nur Kirche ist: Sie ist Klangraum und Ausstellungsort, Architekturdenkmal und Diskursraum, Erinnerungsort und offene Kirche. So ist sie ein Identitätspunkt für viele Menschen geworden.

Aber wie ist das gelungen?

Noth: Wir hatten Glück, der Zeitpunkt war günstig. Es war kurz nach der Wende, die Menschen suchten Halt, und ich glaube das Projekt Frauenkirche, diese Idee, wir bauen hier unser Wahrzeichen wieder auf, das hatte auch etwas mit Stolz zu tun, mit Identität. Da war ein richtiger Aufbruchsgeist, diese Energie der Wiedervereinigung in ein bürgerschaftliches Projekt zu stecken. Dabei war es noch nicht mal finanziert. Nach dem Beschluss des Freistaates Sachsen, der Landeshauptstadt Dresden und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens sind Bürgerinnen und Bürger erstmal tingeln gegangen, um Unterstützer zu finden. Geholfen hat auch die Versöhnung Richtung Westen, da gab es viele, die noch einen Bezug zu Dresden hatten, in den USA, Großbritannien, Frankreich.

Der Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge wird von der Hamburger Bürgerschaft unterstützt, aber wie kann man die Stadtgesellschaft dafür begeistern?

Noth: Ich glaube, der erste Punkt ist überhaupt zu erkennen, dass es zu einem Projekt der Zivilgesellschaft werden muss. Die Sichtbarkeit jüdischen Lebens, der wieder wachsende Antisemitismus, das geht ja nicht nur die Gemeinde an. Ich bin auch im Vorstand der Jüdischen Woche hier in Dresden, und ich spüre immer wieder, die Menschen haben Hemmungen. Für die meisten ist jüdisches Leben die Shoah, ansonsten fehlen die Berührungspunkte, wie vielfältig jüdisches Leben ist, wieviel Spaß und Freude das auch macht. Dass jüdische Menschen Menschen sind wie alle anderen auch. Diese Berührungsängste abzubauen, auch darum geht es, etwa durch interreligiöse Projekte. Man muss Offenheit herstellen, das Gebäude erlebbar machen. Wir haben den ganzen Tag geöffnet, bei uns können alle einfach reinkommen. Bei einer Synagoge ist das wegen der Sicherheitsfrage natürlich nicht so einfach.

Welches Angebot haben Sie in Dresden für Menschen, die mit dem Christentum nicht viel zu tun haben?

Noth: Wir haben ein riesiges Konzertprogramm, wir sind das Architekturwahrzeichen Dresdens, viele kommen nur deswegen. Bei Führungen versuchen wir das mit der Kirche zu verbinden. Auch in Hamburg könnte man sich über das Thema Architektur nähern, es gibt doch sonst keine historische Synagoge in der Stadt, oder? Es geht darum, eine Marke zu schaffen, ein Gebäude, das sich anzuschauen lohnt. Das ist auch eine Frage des Stadtmarketings.

Also Tourismus?

Noth: Das ist ja nichts Schlechtes, wenn Menschen kommen, um sich etwas anzuschauen, weil sie neugierig sind. Neugierde ist etwas Positives. Es geht ja darum, die Scheu abzubauen, damit Leute sagen: Ich geh da jetzt mal rein.

Einer der Kritiker, ein Architekt, sprach von der „nostalgischen und geschichtsvergessenen Rückwärtsgewandheit“ einer Rekonstruktion, sie würde die heutige jüdische Lebenswelt gar nicht abbilden.

Noth: Natürlich kommen da auch Leute, die die Geschichte nicht kennen und einfach sagen, Mensch, das ist ja toll! Wenn wir ihnen dann nur erzählen würden, warum die Bürger im 18. Jahrhundert die Frauenkirche genauso prunkvoll gestaltet haben, wie sie heute dasteht, könnte man schon sagen, das ist geschichtsvergessen mit Blick auf die NS-Zeit. Und ich gebe zu, es fällt uns schon manchmal schwer, in diesem Massentourismus die dreißiger und vierziger Jahre wach zu halten. Deshalb ist es ja so wichtig, dafür ein Programm zu entwickeln.

Kann man am historischen Gebäude nicht auch verdeutlichen, wie großartig das war, was zerstört wurde?

Noth: Ja, aber man muss auch aufpassen. An der Schönheit der Frauenkirche rutscht man manchmal buchstäblich ab. Deshalb braucht es ein gutes Konzept, wie man es schafft, das Bewusstsein für den historischen Bruch wach zu halten, weniger für die jüdische Gemeinde selbst als für die Stadtgesellschaft insgesamt.

Beim Militärhistorischen Museum von Daniel Libeskind in Dresden durchtrennt ein Neubau wie ein Keil das historische Gebäude. Braucht es solche architektonischen Störer, um an die geschichtliche Katastrophe zu erinnern?

Noth: Das muss gar nicht der Bau selbst sein, es gibt so viele Effekte, um das zu erreichen: Über Illuminationen, mit Tönen, mit Transparenten an der Außenfassade. Entscheidend ist nicht, ob ein Gebäude historisch wieder aufgebaut oder nicht, sondern wie man damit umgeht.

Zur Person: Maria Noth ist seit 2020 Geschäftsführerin der Stiftung Frauenkirche Dresden. Die gebürtige Sächsin studierte Kulturwissenschaften, Amerikanistik und Judaistik in Deutschland und den USA und ist zertifizierte Stiftungsmanagerin. Noth ist protestantische Christin.

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